Superweitwinkel - nützliches "must have" oder eher was für "Pixelpeeper" ?

Also ehe ich mir jetzt einen Shitstorm von allen Liebhabern dieser Superweitwinkel einfange, gestehe ich gleich, ich habe oder hatte längere Zeit (>10 Jahre) auch so eines und außerdem noch ein Fisheye für das kleine Mittelformat (4,5 x 6 cm).

Damals waren 14mm das Äußerste, was man für Vollformat (KB 24 x 36mm Film) an WW bekommen konnte. Das waren noch Zeiten, wo die F4s mein Arbeitspferd war. Mir war schon klar, daß diese Brennweite nicht zu meinen am Häufigsten genutzten werden würde... Aber das nur weniger als 1% der Fotos mit diesem Glasklotz überhaupt entstehen würde und von diesem einen Prozent kaum etwas wirklich professionell genutzt werden könnte, zeigt mir heute, daß mir dieser Ausflug ins Extreme außer einem mehr an Erfahrung kaum etwas gebracht hat. In der Fotoliteratur gibt es Stimmen, die Superweitwinkel als "geschwätzig" beschreiben. Meist weil auf dem Bild mehr drauf ist, als der Bildaussage gut tut. Darum ist es gut für kleine Innenräume geeignet, clevere Immobilienmenschen nutzen SSW um Räume in ihren Exposés größer wirken zu lassen.

 

2,8/14mm AF auf der digitalen Nikon. Dieser nette Glasklotz wiegt 675 g in seiner Metallfassung © A.Kostrzewa (6/2008 in Norwegen)

 

Möglichst viel aufs Bild kriegen, dazu ist ein 14er gut. Aber gibt das auch ein gutes Bild? Meistens nicht! Machen das die Neuen 11mm SWW irgendwie besser, wohl kaum. Dokumentation der Stromatolithen in der Shark Bay, WA  © A.Kostrzewa

 

Man kann mit SSW Linsen spektakuläre Bilder machen, das ist Ihre Daseinsberechtigung: hier in Island ein Krater in dem die Mondastronauten für ihre Geologieausbildung geübt haben (Apollo 17) das "richtige" Gestein zu sammeln, bei Mitternachtssonne "an die Lichtverhältnisse des Mondes angepasst" als Schwarzweißaufnahme entwickelt.  © A.Kostrzewa

 

Für die Himmelsfotografie ebenfalls spektakulär: mit SSW 14mm das Zentrum der Milchstrasse fotografieren  © A.Kostrzewa (Australien)

Landschaft und Milchstrasse mit SSW 14mm fotografieren. Ohne Streulicht ohne Mond beim Campen im Outback. Das Feuer war mit dem bloßen Auge nicht mehr zu sehen, aber die 30sec. Belichtung zeigt es noch deutlich. Die Beleuchtung links im Gebüsch rührt vom nächsten Campnachbarn her. © A.Kostrzewa

 Auf ein solches Bild muß viel drauf! Landschaft mit SSW 14mm fotografieren. Gleiche Stelle, einige Stunden früher. © A.Kostrzewa (Campen im australischen Outback)

 

Fisheye

Fangen wir aber mal mit dem Fisheye an: es gibt nur eine einzige Landschaftsaufnahme damit, die mir wirklich gefällt und die auch mehrfach gedruckt wurde - die Flußschleife des Colorado beim Horse Shoe. Hier verstärkt das Fisheye die Perspektive und RUND macht  optisch einen Sinn. Es geht ja meistens nicht darum "noch mehr drauf" zu bekommen, sondern ein Motiv zu komponieren, was den Blick durch VG MG und HG führt. Das scheint hier gelungen.

 

Horse Shoe Bend, Mamiya 645 super mit Arsat 3,5/30mm Fisheye auf Velvia RVP, 50 ASA, f/16, Stativ in Bodenhöhe © A.Kostrzewa (Colorado 1994)

 

Superweitwinkel

Ein paar Daten zum 14er: Bildwinkel (diagonal) 119°, Gewicht = 675g, f/2,8 - 16, Frontlinse 84mm mit starker Wölbung, die darum auch kein Filtergewinde hat. Filter kann man trotzdem an der Hinterlinse in einen Halter schrauben/schieben, Polfilternutzung ist so nicht aber möglich.

Bei Aufnahmen aus der Hand muß man darauf achten, das man seine Füße nicht mit im Bild hat :-)

 

  

Größenvergleich: Eine Nikon F3T mit dem berühmten 13mm der 1970er Jahre. Das Nikkor 5,6/13mm im Querschnitt, wegen dem vielen Glas und der notwendigen soliden Metallfassung wiegt das Objektiv allein 1.240g (Quelle: Internet)

 

Das lange Zeit stärkste WW für Spiegelreflexkameras war das Nikkor 5,6/13mm, was nur auf Anfrage zwischen 1976 (non-AI, ca. 8.000 $) und 1998 (AI-S) gebaut worden ist. Damals schon ein 16-Linser mit sage und schreibe 115mm Durchmesser, aber noch ohne Sondergläser und Asphären. Gebaut wurden etwa 350 Stück. Heute werden die wenigen gut erhaltenen Exemplare bei ebay für >25.000,- $ gehandelt. Die damit gemachten Aufnahmen wurden zum einen für Technik in engen Räumen und zum anderen für spektakuläre Werbeaufnahmen benutzt. Wobei der Einsatz dieses Spezialobjektives allein schon bedeutsam war...

Diese Konstruktion gilt als "veraltet", heute haben wir optisch "bessere" 2,8/14-24mm bei Nikon oder gar 4/11-24mm bei Canon, behaupten die Hersteller. Es stimmt aber jeweils nur für die Anfangsbrennweite, zum Brennweitenende hin werden die Zooms immer schwächer in der Leistung, wie Lensrentals kürzlich gemessen (https://www.lensrentals.com/blog/2017/03/rogers-law-of-wide-zoom-relativity/) hat. 11mm weist auch das neue IRIX Objektiv auf, die Bilddiagonale liegt bei 126°. 103mm Durchmesser und je nach Anschluß 775-815g für die Metallausführung. Bislang existieren nur Bilder davon.

 

Superwide im Einsatz

Zweimal Superwide im Einsatz: Mamiya 645 mit Sekor 3,5/35mm (35mm waren lange Zeit die weitwinkeligste Brennweite im kleinen Mittelformat = 21mm KB) auf dem Stativ und am Boden liegend die Nikon F4s mit AF 2,8/14 D. Die Location ist sehr gut geeignet für starke Weitwinkel. Sony R-1 (24-120mm @ 24mm)  © A.Kostrzewa  (Schottland, Glen Etive, Juno 2007)

 

Der gurgelnde Wasserlauf dieses wunderschönen Glen lädt ein zur Superwide Session: Wenn man das 14er im Hochformat drauf hat und nach vorne kippt, kommt es einem vor, als wenn das Wasser einen in den tosende Bach zieht, "halb zog sie ihn, halb sank er hin, da wars um ihn geschehn" (J.W.v.Goethe). Im Mittelformat, bei 21mm, ist das alles etwas gemäßigter, aber auch damit lassen sich schöne Bilder komponieren.

Doch fangen wir mit einem 24er HF an: Läßt man die obere Bildbegrenzung über dem Berggipfel liegen, fehlen einem unten - bei gleichem Standort - die nötigen Grade am Weitwinkel, um die Steine im VG noch mit abbilden zu können. Man müßte also ein paar Schritte zurücktreten, wenn möglich, um die Steine noch mit ins Bild zu bekommen.

 

Sony R-1 (24-120mm @ 24mm)  © A.Kostrzewa  (Schottland, Glen Etive, Juno 2007)

 

Bei der Mittelformataufnahme liegt die Brennweite bei vergleichsweise 21mm und erlaubt sowohl den VG, als auch den HG ins Bild einzubeziehen: oben ein bisschen weniger, dafür unten noch die Steine mit drauf. Bei Kleinbild (24 x 36mm) ist das Seitenverhältnis 2 : 3, beim kleinen Mittelformat aber 3 : 4 (40,5 x 55 mm) für die Buchproduktion ein etwas günstigeres Format, da es bei Doppelseiten kaum Beschnitt gibt. Im Mittelformat Dia ist die Auflösung und auch die Sättigung höher, als bei Kleinbild, was man hier im Scan kaum ahnen kann, da das Licht nicht ganz mitgespielt hat.

 

Hier habe ich wegen der fehlenden Millimeter Weitwinkel, es sind ja nur 21mm (equiv.) gegenüber 14mm, die Berge geopfert. Mamiya 645 super mit Sekor 3,5/35mmN, Velvia 50, f/16  © A.Kostrzewa  (Schottland, Glen Etive, Juno 2007)

 

Das HF mit dem 14er an der KB-Kamera läßt dann noch Luft nach oben und unten, d.h. 16 mm hätten es möglicherweise auch getan, waren aber nicht verfügbar.

  

Wenn man das 14er im Hochformat drauf hat und nach vorne kippt, kommt es einem vor, als wenn das Wasser einen in den tosende Bann zieht, "halb zog sie ihn, halb sank er hin, da wars um ihn geschehn" (J.W.v.Goethe). Mir wird dabei manchmal ganz schwindelig zu Mute.    Nikon F4s mit 2,8/14mm, Sensia 100, f/16, Stativ  © A.Kostrzewa  (Scan vom Dia, Schottland, Glen Etive, Juno 2007)

 

Wenn man den direkten Vergleich von gleichen Standpunkt nicht hätte, könnte man jede der drei Aufnahmen in einem Schottland Bildband abdrucken, aber die stärkeren WW betonen das Gefälle und das Gurgeln des braunen Moorwassers einfach besser. Ich habe an diesem Motiv etwa 1 h gearbeitet, weil das Licht dauernd wechselte. D.h. "gefühlt" sind die beiden letzten Aufnahmen "besser". Farblich gibt es leichte Unterschiede, die der Sonne zuzuschreiben sind. :-) am besten wirkt daher die Aufnahme mit dem 24er, weil das Licht am besten war... Da müßte man jetzt noch ein wenig mit EBV nachhelfen

 

 

 

Was hat das 14er fotografisch gebracht?

Offen gestanden hatte ich es zuerst für die Film F4 gekauft, einfach um diese extreme Brennweite mal persönlich auszuprobieren. 2007 + 08 habe ich es in Schottland und Norwegen für Landschaften verwendet. Aber neben dem leichten und kompakten 18-35mm blieb es doch ob seines Gewichtes oft im Auto. Damals hatte ich noch mit Rucksack und Stativ so gute 15kg Fotopröttel auf dem Buckel beim Wandern. Wenn es also sichere SWW-Motive gab, kam es mit, sonst eher nicht. Es gibt einige schöne Aufnahmen damit aus Australien. In Norwegen gab es jede Menge Pleiten mit Nieselregen: immer wenn nur ein paar Tröpfchen Niesel oder Gischt auf der großen Frontlinse landeten, konnte man die bei f/11 sofort im Bild/Dia gut als häßliche Flecken sehen. Habe mir einige schöne Aufnahmen so versaut. Schützen kann man die Frontlinse auch nicht, weil ein Schirm o.Ä. dann immer in den Bildrand hineinreicht. Man hatte mehr Ärger als Gewinn damit. Also nur eine Schönwetterlinse!

 

Ohne das ich es gemerkt habe, nieselte es mir die riesige Frontlinse ein, so kann man SSW Bilder auch versauen (Scan vom Dia), sonst wäre das untere Foto ein ansprechendes Bild geworden: Viel Landschaft in der norwegischen Hardangervidda plus ein prima Regenbogen, nebst Schatten des Fotografen...  © A.Kostrzewa  (Nikon F4 + AF 2,8/14mm D, Fujichrome Sensia 100, Scan vom Dia, Norwegen, Juno 2008)

 

            

Vor allem, wenn man den VG betonen möchte, hilft viel WW viel, wie im linken Bildbeispiel. Um allein die Weite der Landschaft zu betonen ist ein 14er nicht unbedingt nötig, hilft aber auch (rechts)  © A.Kostrzewa

 

Nötig ist es aber nicht. Man kann auch etwas mehr Abstand halten und ein weniger starkes WW nehmen, wie 18, 20 oder 24mm. Der Vorteil dabei ist evident, wenn man die Bilder genau anschaut: Der Hintergrund (HG) ist nicht so weit weg und so klein dargestellt, wie bei einem Superweitwinkel:

 

Aufnahmen mit 14mm. Während beim SWW der HG dramatisch verkleinert wird (unten), bleibt er beim gemäßigtem WW (oben 28mm) viel eher proportional.

Aber: Wolken und Perspektive machen das Superweitwinkel-Bild in diesem Falle attraktiv. Leider gibt es keine Pinnacles ohne Fußspuren! Also beim nächsten Mal einen Reisigbesen mitbringen!  © A.Kostrzewa

 

In dieser gestellten "Arbeits"-Aufnahme ist das 14er auf der Fotokamera im Bild, die Aufnahme selber wurde mit dem 2. Stativ und 18mm gemacht  © A.Kostrzewa

 

Go home message:

 

Hier ein exzellenter Stitch von Kerstin Langenberger: Polarlicht "über dem Jökulsarlon." Stitch aus mehreren WW Aufnahmen © Kerstin Langenberger

 

FAZIT: Wer also gerne schleppt und Platz im Rucksack hat und "etwas" Geld über, der kann sich mit diesen extremen Linsen beschäftigen. Neu wäre das 2,8/11mm IRIX auch mit Nikon und Sony Anschluß. Für das spiegellose Vollformat  (Sony A7rII etc.) gibt es sogar ein manuelles 5,6/10mm Hyper Wide Heliar von Voigtländer mit 130° diagonalem Bildwinkel. Auf Film hätte man für beide Objektive sicherlich Centerfilter benötigt, wg. der Vignettierung, heute wird die einfach weggerechnet...

Aber: Bei geschicktem Einsatz von 18 oder 20mm oder "nur" 24mm kommt man zu ähnlichen Bildergebnissen und spart Gewicht und Geld. Und tut was für die Kreativität. Daher sind die Super WW für mich keine "must haves" mehr. Nicht mal als "nice to have" würde ich sie mehr einordnen. Je älter ich werde, je mehr Erfahrung ich sammele, desto eher lerne ich mit weniger Brennweiten auszukommen, für die Landschaftsfotografie. Sollte ich nur ein einziges Objektiv nutzen können, wäre ein sehr gutes, möglichst verzeichnungsfreies 4/24-100mm meine erste Wahl. Hallo Nikon, aufwachen!

Text und Fotos  © A.Kostrzewa 3-4/2017